Bauen mit Generalunternehmern

Bei Grossprojekten ist die Bauherrschaft in der Regel nicht in der Lage, das Projektmanagement selbst zu leisten. Diese Entwicklung wendet sich nur allzu oft gegen die Architektur. Gewinner im Spiel sind dann jene, die sich einseitig auf Budget- und Terminerfüllung konzentrieren. Dass damit Qualität abhandenkommt, wird oft nicht wahrgenommen oder verdrängt. 

Der Expo.02 fehlte jedoch die Kapazität zur Führung eines Grossprojektes von insgesamt CHF 450 Millionen, mit rund 500 zumeist experimentellen Einzelbauten auf fünf Arteplages und rund 180 Direktaufträgen. Zur Realisierung stand nur ein Jahr zur Verfügung. Somit kam nur eine Generalunternehmer-Lösung in Frage: Pro Arteplage wurden durchschnittlich fünf Generalunternehmungen (GU) engagiert, ohne Berücksichtigung der Realisierung der Ausstellungs-Pavillons. Jede Ausstellung hatte ihre eigenen Planer und Unternehmer. Das Gleiche galt auch für den Innenausbau der Restaurants und VIP-Lounges.

Aufbau Arteplages

Design to cost 

Im Frühling 2000 erfolgte die Generalunternehmer-Ausschreibung. Für die vier Arteplages gingen nur drei Bewerbungen von Generalunternehmer ein. Daraufhin erklärte die Expo.02 das Arteplage-Ausschreibungsverfahren als gescheitert. Aus der Not wurde eine Tugend. Noch vor Vertragsabschluss – während sieben Monaten – wurden die Arteplageprojekte gemeinsam mit Generalunternehmern detailliert und verifiziert. Die akribische Vorbereitung hatte den immensen Vorteil, dass sich die Projektautoren und Generalunternehmer-Equipen in einem gemeinsamen Überarbeitungsprozess aufeinander einspielten und die kostenoptimierte Überarbeitung die Kalkulationsbasis für den Generalunternehmer-Vertrag bildete. Für die Vertragsgrundlagen wurden alle Expo.02-Bauten drei Qualitätskategorien zugeordnet:

1) Top: Die Ikonen der Arteplages dürften keine Abstriche bei der Architekturqualität erfahren. 
2) Selektiv: Gebäude hoher Architekturqualität. Diese Forderung beschränkte sich auf die Aussenhaut bzw. die Innenraumgestaltung.
3) Verzicht auf Architekturansprüche für funktionelle Bauteile wie Backstages und technische Einrichtungen, die ausserhalb des Blickfelds der Besucher lagen. Diese Zuordnung führte zu einem grossen Umprojektierungsschub. Auf liebevoll entwickelte Spezialbauten musste zugunsten von Paravents und 450 Containern verzichtet werden.

Umsetzungsphase

Mit der definitiven Unterzeichnung der Generalunternehmer-Verträge im Dezember 2000 wurden die Architekten direkt den Generalunternehmern unterstellt. Eine für den Bauablauf, die Baukostenbewirtschaftung und die Gesamtverantwortung richtige, aber für die Architekturqualität sehr bedrohliche Ausgangslage. Einschlägige Erfahrungen mit Generalunternehmern und die Erkenntnis, dass diese sich primär auf Kosten und Termine konzentrieren und oft qualitative Ansprüche als störende Mehraufwendungen wahrnehmen, führten den Directeur Technique zu den folgenden Fragen: 

1) Wie kann verhindert werden, dass die Generalunternehmung die Architekten durch eigene Techniker ersetzt?
2) Wie ist zu verhindern, dass die Architekten nicht durch Minimalhonorare ausgehungert werden? 
3) Wie wird der Informationsfluss Architekt–Expo.02 auch ohne direktes Vertragsverhältnis sichergestellt?
4) Wie werden Werkstattpläne der Subakkordanten auf ihre Architekturqualität hin geprüft und bewilligt?
5) Wie werden vor Ort die Materialisierung und deren qualitative Umsetzung sichergestellt?
6) Wie kann im Konfliktfall (z.B. Uneinigkeit bei Ausführungsplänen) noch genügend Zeit reserviert werden, um Lösungsvarianten auszuarbeiten? Und dies ohne Entschuldigung: «Tut uns leid, Sie sind zu spät. Wir sind bereits am Betonieren?»
7) Wie kann der Bauherr das Claim-Management des Generalunternehmers ausschliessen, insbesondere bei ungenügender Projektdefinition?
8) Im Gegenzug: Wie muss das Generalunternehmer-Management abgesichert werden, damit Grossprojekte mit 500 Einzelprojekten, von denen die Hälfte im Hinblick auf die Zeitachse als kritisch zu beurteilen sind, termin- und kostengerecht realisiert werden können? – Konkreter formuliert: Wie verhält sich der Bauherr Expo.02, wenn ein Architektenteam innerhalb des GU-Vertrages so stark geschützt ist, dass es praktisch alle seine Designforderungen – ohne Rücksicht auf Machbarkeit, Termin- und Kostendruck – durchsetzen kann? Wo liegt die Entscheidungsbefugnis im Konfliktfall?

Innovatives Vertragswerk 

Im Gegensatz zur Normalabwicklung eines Bauvorhabens mit Generalunternehmern hatte die Expo.02 im Interesse einer möglichst hohen Architekturqualität ein Netzwerk von Schlüsselbestimmungen entwickelt. Diese waren de facto die vertragsrechtlichen Antworten 
auf die gestellten acht Fragen: 

1) Kündigungsschutz 

Die Generalunternehmen wurden auf die Wettbewerbsgewinner verpflichtet: Architekten, Landschaftsarchitekten, Ingenieure, Lichtspezialisten, Szenografen. Eine Kündigung der Projektautoren ohne Zustimmung der Expo.02 war ausgeschlossen. 

2) Honorierung der Designerteams

Der Leistungsumfang und die entsprechende Entschädigung gemäss SIA wurden im Voraus berechnet und vertraglich festgeschrieben. 

3) Meldepflicht an Bauherrn

Die Projektautoren hatten, auch ohne Vertragsverhältnis mit der Expo.02, eine Meldepflicht gegenüber der Direction Technique für den Fall, dass die Generalunternehmen Vereinfachungen vornehmen würden, die der Architekturqualität abträglich gewesen wären. 

4) Planfreigabe

Alle Architekturprojekte der Qualitätskategorien Top und Selektiv durften nur dann ausgeführt werden, wenn die entsprechenden Pläne durch die Architekten zur Freigabe visiert wurden. Dies galt auch für die architektonisch relevanten Werkstattpläne der Subunternehmer. 

5) Baumuster

Von allen architektonisch wichtigen Bauteilen mussten Muster im Massstab 1:1 vor Ort erstellt werden. Sie mussten von der Direction Technique und den Architekten gemeinsam abgenommen werden. 

6) Zeitfenster für Konfliktbereinigung

In jeder Konfliktsituation mussten noch 14 Arbeitstage reserviert bleiben, um Bereinigungen oder Lösungsvarianten ausarbeiten zu können. Die Terminplanung hatte dies entsprechend zu berücksichtigen 

7) Keine Nachforderungen

Zur Vermeidung von Claim-Management mussten im Generalunternehmen-Vertrag die architekturrelevanten Projekte möglichst detailliert vorliegen. Wo dies nicht möglich war, mussten vertraglich Rahmenbudgets und Zeitfenster für spätere Ausschreibungen vordefiniert werden. Sowohl das Offerten- wie auch das Abrechnungswesen musste offengelegt und für die Cost-Controller der Expo.02 überprüfbar sein. Damit konnten die durch die Generalunternehmen erzielten Einsparungen grösstenteils wieder zugunsten der Expo.02-Bauten eingesetzt werden. 

8) Stellvertretender Entscheid durch den Directeur Technique

Im Gegenzug verzichteten die Architekten weitgehend auf ihr Urheberrecht: Wenn sie die Planfreigabe oder Muster im Massstab 1:1 ablehnten, konnte in einer projektbedrohenden Situation der Directeur Technique die Pläne und Modelle stellvertretend abändern lassen beziehungsweise selber genehmigen.

Qualität ist kein Zufallsprodukt 

Das Management zur Sicherung der Architekturqualität ist etwas überaus Anstrengendes. Alle Situationen, die nicht vorausgedacht worden sind, wirken sich in der Regel gegen die Qualität des Projektes aus: Wenn die Qualitätssicherung allein durch Ökonomen oder Juristen übernommen wird, kommt sie mit Bestimmtheit abhanden. Das beste Vertragswerk nützt nichts, wenn die Beteiligten das differenzierte Instrumentarium der Qualitätssicherung nicht in allen Details durchzuspielen wissen.

Die Realisierungsphase im Jahre 2001 hatte die Notwendigkeit der qualitätssichernden Massnahmen in praktisch allen Punkten bitter bestätigt. Stellvertretende Entscheide hatte der Directeur Technique in rund 65 Fällen wahrgenommen. Das, was die Expo.02-Besuchende so selbstverständlich als architektonische Qualität wahrnahmen, war keine Selbstverständlichkeit. Sie war vielmehr das Resultat einer ausgeklügelten Projektentwicklung und -steuerung und eines grossen, vertragsrechtlich abgesicherten Durchsetzungsvermögens. Das experimentale Grossprojekt Expo.02 zeigte die Chancen auf, wie die Zusammenarbeit zwischen Bauherr, Architekten und Generalunternehmen zu architektonischen Spitzenleistungen führen kann, selbst unter Respektierung der engen Budget- und Terminvorgaben. 
 

Ruedi Rast, Directeur Technique, Architecture.Expo.02, 2003